Abstrakt: | Das II. Vatikanische Konzil hat angesichts tiefgreifender gesellschaftlicher und Kultureller
Umwandlungen in der gegenwärtigen Welt, indem es die „Zeichen der Zeit” gedeutet
hat, die Aufgabe vor sich gestellt, die Ehelehre zu erneuern und zu reintegrieren. Es ging
dabei nicht darum, die überlieferte Doktrin de matrimonio grundlegend zu verändern,
sondern sie eher um eine einheitliche theologische Synthese neu zu ordnen, zumal es sich
um zerstreute, nicht selten disperse Bereiche handelte. Daher galt es vornehmlich, den
Dualismus zwischen der naturgegebenen Dimension der Ehe und der geistigen Realität
des Sakraments zu überwinden. Diese sich auf der Wahrheitsfindung gründende kreative
Erneuerung musste eine personalistisch vertiefte Anthropologie mit einschließen und
sowie die sich in der Welt entwickelnden Konzeptionen von Mensch und Gesellschaft berücksichtigen,
u.a. die evoluierenden Konzepte hinsichtlich der Sexualität und der Geschlechterrelation.
Daher soll es nicht wundern, dass die neue Vision der Ehe einen engen
Zusammenhang zwischen der Schöpfüngsordnung und der Erlösung vor dem Hintergrund
der Heiligen Schrift und der Tradition bekräftigt hat. Diese neue Vision wurde im Rekurs
auf die Humaniora (Psychologie, Medizin, Soziologie, Kulturanthropologie, Ethnologie
u.v.a.m.) erarbeitet. Von Anfang an war es selbstverständlich, dass die Formel der Ehe als
einer Institution vom vertraglich-prokreativen Charakter, die der GIG von 1917 präsentiert
hat, der neuen Vision nicht mehr gerecht wird. Das Postulat, im kanonischen Recht solle
sich der Einfluss der Theologie intensiver bemerkbar machen (K. Rahner), sowie die Realisierung
dieses Postulats, die In concreto darauf hinauslief, das lus matrimoniale mit der
immanenten Theologie der Kirche als des Sakraments der Vereinigung und der Gommunio
(Ecclesia In Trinltate) notwendig zu harmonisieren, haben die Reformversuche des kanonischen
Eherechts grundlegend bestimmt.
Ein wichtiger Verdienst der weit aufgefassten personalistischen Strömung in der Kanonistik
und der Jurisprudenz war die Tatsache, dass diese Idee, die das tus in der charismatisch-
institutionellen Kirche verankert hat, zunächst den Kodifikationsprozess allein
stigmatisiert hat und heutzutage eine adäquate Interpretation der Vorschriften de sacramento
matrtmonll gewährleistet. Daher soll man nirgendwo anders als in dem personalistischen
Ehekonzept mit seinen zwei Angelpunkten „Gabe” und „Gommunio” nach dem
hermeneutischen Deutungsmuster der Struktur von matrimontum canonicum suchen.
Die in der vorliegenden Studie vorgenommene Identifizierung der Hauptströmungen
innerhalb der Bestrebungen, das Eherecht zu erneuern, sowie die Untersuchung von de ren Voraussetzungen und Grundthesen, haben sich zur Möglichkeit zusammengefügt, die
Frage zu beleuchten, die seit der Promulgation des GIG von 1983 die Kanonistik beschäftigt
und die Rechtsprechung immer wieder begleitet, und zwar die Frage nach dem Inhalt
die Formel matrlmonlt essentiale altquod elementum (can. 1101 § 2). Die Notwendigkeit,
eine konkrete Ehe in ihrem gesellschaftlich-kulturellen Kontext zu sehen — entsprechend
der soziologischen Wahrheit, die Ehe sei ihrer Natur nach „historisch” — die dann entsprechend
der Intention des Rechtgebers, die erwähnte Formel offen zu lassen, bekräftigt wurde,
wurde gleichzeitig zur Bedingung, die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung
vorsichtig zu formulieren. Die Ergebnisse lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen:
1. Die vom Rechtgeber gewählte tomistische Systematik für die Beschreibung des Wesens
der Ehe gibt ein grundlegendes Deutungskriterium für die Untersuchung des Inhalts
der Ausschließungsklausel (can. 1101 § 2) ab. Wenn also laut can. 1055 § 1 „die Gemeinschaft
des ganzen Lebens” ihrer Natur nach sich auf das Wohl der Ehegatten ausrichtet
und zum Zweck hat, die Nachkommenschaft zu zeugen und sie zu erziehen, darf angenommen
werden, dass die Rechtsformel matrimonit essentiale altquod elementum die
der Gerechtigkeit entspringenden Eheakte und -verhaltensarten umfasst, die sich aus dieser
ordlnatto ergeben.
2. Die interpersonale Auffassung der Ehe, die die Originalität der Person und die sich
daraus ergebende Einmaligkeit der Relation zwischen den Eheleuten voraussetzte, erkennt
die totalltas der gegenseitigen Hingabe von Mann und Frau im Ehebund als ein
grundlegendes Deutungskriterium des erwähnten Bereichs der essentialia an. Diese Perspektive
weist auf einen neuen Sektor in diesem Bereich hin, und zwar ordlnatto ad bonum
contugum, als denjenigen, der sich in einem engen, Immanenten Verhältnis zur
„personalen Infrastruktur" des Ehebundes befindet. Diese Tatsache erlaubt das erste
Wesenselement im konstitutiven Rechtsereignis selbst zu erkennen: sese mutuo tradunt
et acciplunt (can. 1057 § 2). Die Logik des Ehebundes hingegen, deren Hauptmerkmale
bonum personae und consortlum sind, lässt im selben Sektor das Strukturelement der
Realisierung des gemeinsamen personalen Wohles erkennen. Es ist die Gemeinschaftlichkeit,
die mit dem personalistischen Merkmal versehen wurde, und zwar dem Prinzip
der Gleichheit der ehelichen Rechte. Es ist allerdings schwer zu entscheiden, ob die genannten
Elemente im Bereich des Ausschlusses matrlmonlt essentiale elementum oder
im Bereich der slmulatto totalts zu verankern sind (eine konkrete Entscheidung liegt beim
jeweiligen Richter).
3. Dieselbe personalistische Optik lässt das ethische Prinzip der Liebe (eheliches
Strukturprinzip) das consortlum totlus vttae in ganzer menschlicher Wahrheit verwirklichen.
Vor dem Hintergrund der Kodifikation des Rechts bestimmt dieses Prinzip ein
bestimmtes Minimum der ethischen Qualifikation, die jeden consensus personalis auszeichnen
sollte. Auf diese Weise manifestieren sich die elementaren personalen Eigenschaften
bzw. Werte, die sich mit wesentlichen Merkmalen der Ehe vergleichen lassen.
Hierher gehören: die Authentizität (Wahrhaftigkeit, Rechtschaffenheit), Autonomie (Freiheit,
Verantwortung), Oblativität (Offenheit gegenüber der interpersonalen Kommunikation).
Der Entscheidung des kirchlichen Richters bleibt überlassen, ob eine von diesen
Eigenschaften/Werten zu einem Wesenselement der Ehe erklärt wird. Ein Beispiel kann
hier das potentielle Element der Autonomie der Person abgeben (mit ihrer näheren prozessuellen
Qualifikation als „Würde der Person”, „Grundrechte”, „autonome und verantwortungsbewusste
Freiheit" sowie „ethische und religiöse Freiheit”). Im Sektor, der von der
ordlnatto ad bonum prolls bestimmt wird, manifestiert das Element der Verantwortung
seine Spezifik („verantwortungsbewusste Prokreation”). Es scheint allerdings rational, eine
Sammelbezeichnung für diese ethischen Eigenschaften/Werte anzuwenden, und zwar in Form einer fertigen Formel humano modo (im Sinne „in ganzer menschlicher Wahrheit")
sowie ihr die Autonomie eines Wesenselements der Ehe zuzusprechen.
4. Auf eine personalistische Reinterpretation warten immer noch Rechtskategorien,
die in der vertraglichen Auffassung der Ehe als zweitrangige Ziele der Ehe galten, und
zwar mutuum adtutortum sowie remedium concup tscenttae. Ihre neue Bestimmung kann
sich einer besseren Deutung des Wesens der Ehe, das der ordtnatto ad bonum contugum
entspringt, als besonders nützlich erweisen. Da der Konstitution jeder Person der Aufruf
zur communto immanent ist, muss er in einem konkreten Ehebund zum Recht/zur Pflicht
werden, einander Hilfe zu leisten, was im biblischen Sinne bedeutet, einander darin zu unterstützen,
„Mensch zu werden". Daher kann mutuum adtutortum bereits heute als eines
der Wesenselemente der Ehe angesehen werden. Allerdings darf dann aus dem Wirkungsbereich
dieses Elements das am meisten manifeste Zeichen „ein Leib zu werden” keinesfalls
ausgeschlossen werden, das zum Recht/zur Pflicht beider Ehepartner wird, im
sexuellen Bereich eine enge personale Bindung zu entwickeln, und zwar nicht nur
körperlich, was die alte Formel remedium concuplscenttae besagte. Einem Richter, der
über konkrete Fälle entscheiden muss, könnte dann alternativ vorgeschlagen werden, dass
er auf den Begriff honor matrlmontl zurückgreift, der den Willen der Eheleute ausdrückt,
einander alteram personam ut suam con-sortem zu machen, was auf die ganzheitliche
gegenseitige Teilhabe an der conditio der Eheleute hinausläuft: der Mann nimmt am
„Frau-Sein" seiner Frau teil, während die Frau am „Mann-Sein" ihres Mannes teilhat. Dieses
Element, das dem römischen Recht entspringt, entspricht der erneuerten Konzeption
des tus matrimoniale.
5. Eine andere personalistische Perspektive — einer integrierten ordtnatto ad faml-
Itam — beleuchtet den Bereich der Hinordnung der „Gemeinschaft des ganzen Lebens”
auf die „Zeugung und die Erziehung der Nachkommenschaft”. Mit der Identifizierung (der
Evaluation) der Wesenselemente dieses Bereichs muss die Perspektive des bonum contugum
einhergehen. Sie erlaubt das wesentliche Element der Ehe in der prokreativen Bereitschaft
der Eheleute (principium procreattuum) zu erblicken. Berücksichtigt werden muss
dabei die originelle Diagnose der juristischen Folgen der künstlichen Befruchtung, die die
Formel „Fertilität ohne Ehelichkeit" zum Ausdruck bringt. Eine reife Gestalt dieser Perspektive
manifestiert sich im Katalog der ehelichen Rechte und Pflichten, die P.J. Viladrich
aufgestellt hat. Der Katalog muss allerdings offen gelassen werden.
6. Die Analysen, die vor dem Hintergrund der Deutungen von dtgnltas sacramentalts
von zwei Vertretern anderer personalistischer Strömungen (der ekkJesial-ekklesiologischen
Perspektive des sakramentalen Bundes insbesondere) durchgeführt wurden, erlauben die
Schlussfolgerung, dass ein Wesenselement in structura matrlmontl die religiöse Dimension
der Ehe darbietet, das in christlicher Ehe als ein Element der Sakramentalität identifiziert
wird. Daher darf man annehmen, dass ein nicht minder Wesenselement die religiöse
Erziehung der Nachkommenschaft ausmacht (für eine katholische Ehe gilt eine katholische
Erziehung). In beiden Fällen wird dem Richter das interpersonale Prinzip der Gemeinschaftlichkeit
zum adäquaten Deutungsmuster. |