Abstract: | Die deutsche Minderheit in Polen der Zwischenkriegszeit zählte etwa 741 Tausend
Menschen. Die Wirtschaftskraft des Deutschtums kam in dessen Besitzstand (Industrie,
Landgüter, Banken) und politische Kraft dagegen in dessen parlamentarischen Selbstverwaltungsvertretung
zum Ausdruck. An allen Gebieten, wo es zahlreiche und einheitliche deutsche
Gemeinschaften gab, nahmen die Deutschen am Gesellschaftsleben sehr gern teil.
Räumliche Zerstreuung der deutschen Bevölkerung (Zentralpolen, Kleinpolen, östliche
Wojewodschaften) war für eine Konsolidierung der Deutschen nicht günstig. Ein starkes
Bindeglied zwischen den in der II. Republik Polen lebenden Deutschen waren Sprache,
Glaube, Schule und Familie; auf Westgebieten und im Südpolen war es auch die Staatangehörigkeit
(Preußen, Österreich -Ungarn).
Ein richtiges Bollwerk der deutschen Nationalidentität zur Zeit der II. Republik Polen
war die, die meisten Deutschen vereinigende evangelische Kirche. Ein starkes Identitätsgefühl
hatten aber auch deutsche Katholiken. Gesellschaftliche oder politische Schichtung
übte keinen negativen Einfluss auf das Nationalbewusstsidentität. Als Vertreter von den
Interessen der einzelnen Gruppen der Deutschen hielten die deutsche politische Bewegung,
Gewerkschafts -, Berufs - und Jugendbewegung auch Wache über die Einheit des Deutschtums.
Zur Entwicklung und Aufrechterhaltung des deutschen Geistes hat in hohem Maße
deutsches Schulwesen beigetragen. Bildungskulturelle Ambitionen der Deutschen wurden
durch deutsche Zeitungen, deutsche Sportbewegung und deutsches Theater gestärkt. Zur
Integration der Deutschen haben wesentlich deutsche Turnbewegung, deutsche Fremdenverkehrsbewegung
und deutsche Sportklubs beigetragen. Die deutsche Nationalminderheit
konnte ein vielfältiges und abwechslungsreiches Leben u. a. deswegen führen, dass es ihr
dank internationalen Gewährleistungen (Versailler Friedensvertrag, Versailler Kleinvertrag,
oberschlesisches Abkommen), Beschlüssen der Verfassung der II. Republik Polen und den
einzelnen Rechtsakten sicherstellt wurde. Außerdem waren die in Polen wohnenden Deutschen
von ihrem Heimatland finanziell und politisch unterstützt.
Die Bibliotheken waren für die Deutschen einer von mehreren Orten, wo sie zum deutschen
Wort und zur deutschen Kultur eine Verbindung haben konnten. Zur Zeit der II.
Republik Polen nahmen sie am Kulturleben aktiv teil, und das um so häufiger, dass es in
dieser Nationalgruppe sehr wenige Analphabeten gab. Das Kulturleben der Deutschen hatte einen Massencharakter, war differenziert und entwickelte sich stärker in den Städten, als in
den Kleinstädten und Dörfern, wo Deutsche Diasporen bildeten. Die Zerstreuung störte sie
nicht, aus reichem Kulturangebot in der deutschen Sprache Nutzen ziehen: deutschsprachige
Zeitungen und Bücher lesen, sich die von eigenen oder ausländischen Theaterensembles
auf die Bühne gebrachten Stücke ansehen. Die Deutschen nahmen gern an Kultur - und
Bildungsveranstaltungen teil; großer Beliebtheit erfreuten sich dabei Film und Rundfunk.
In der II. Republik Polen waren deutsche Bibliotheken ein Gemisch von verschiedenerlei
Institutionen, die in organisatorischer und topografischer Hinsicht, als auch hinsichtlich
der Bestimmung und Ausrichtung von ihren Sammlungen unterschiedlich waren. Ihre
Sitzen befanden sich zwar auf dem ganzen Gebiet der II. Republik Polen, aber die meisten
von ihnen gab es auf den von der deutschen Bevölkerung bewohnten Gebieten, d.i. in
Oberschlesien, Großpolen, Pommern und in der Stadt Łódź und deren Umgebung. In den
Jahren 1936 –1937 verfügten die Deutschen über 578 Bibliotheken mit Gesamtbüchersammlung
von etwa 204 Tausend Bänden. Es waren meistens Volksbibliotheken (die populärste
Form) und Schulbibliotheken (die Schülerbüchereien, für Lehrer, für einzelne Schulklassen
und Jugendorganisationen), welche sich bei den meisten Elementarschulen, Oberschulen
und Lehrerbildungsanstalten mit der deutschen Vorlesungssprache befanden. Wissenschaftliche
Ambitionen der Deutschen wurden von großen öffentlich wissenschaftlichen
Bibliotheken (Katowice, Poznań, Bydgoszcz, Łódź) befriedigt.
Deutsche Bibliotheken funktionierten in verschiedenen Formen und organisatorischen
Konstellationen. Gegründet waren sie von: evangelischen Kirchengemeinden, säkularen
Gesellschaften, politischen Organisationen, Gewerkschaften und Betrieben. Für die meisten
deutschen Bibliotheken trugen zwei deutsche Bibliothekverbände: Verband deutscher
Volksbüchereien (VdV) und Verein Deutscher Büchereien (VDB) finanzielle und
sachliche Sorge (u.a. Anlieferung von Büchern und Zeitungen und Veranstaltung von
verschiedenerlei Unternehmungen). Deutsche Bibliotheken waren in der Regel ziemlich
kleine Einrichtungen, welche selten über eigene Bibliothekräume verfügten (Łódź, Katowice,
Poznań); sie befanden sich gewöhnlich in den zu Schulen, Büchereien, Vereinen, Kirche,
Volksheime gehörenden Räumen.
Deutsche Bibliotheken in Polen waren mit neuer und alter Literatur durch deutsche
stattliche Institutionen und Privatpersonen institutionell versorgt. Diese Büchersammlung
war noch mit den in Polen eingekauften und geschenkten Büchern ergänzt. Die Distribution
von deutschen Büchern und deutscher Presse war politisches und organisatorisches
Problem. Dort wo die Deutschen nicht im Stande waren, eine feste Bibliothek zu gründen,
waren Bücher von Wanderbibliotheken oder Wanderlehrern vertrieben.
In Polen der Zwischenkriegszeit überwog in deutschen Büchersammlungen und in wissenschaftlichen
Bibliotheken die schöne Literatur in deutscher Sprache. Es gab nur wenige
Beispiele von fremder Literatur (französischer, englischer, amerikanischer, russischer und
skandinavischer). Die Werke von polnischen Schriftstellern und polnische Wissenschafts-
-und Schulbücher waren in den deutschen Bibliotheken eine Seltenheit. In wissenschaftlichen
Bibliotheken gab es etwa ebenso viel humanistische und naturwissenschaftliche Bücher.
In allen deutschen Bibliotheken war deutsche Presse vorhanden.
Die Bedeutung von der der deutschen Minderheit gehörenden Bibliothek hing von
deren Reichweite ab. Die Indexe der Reichweite, der Leserschaftintensität und der Büchersammlungsgröße
deuten darauf hin, dass deutsche Minderheit für das Angebot der Bibliotheken nicht so sehr interessiert war. Regional gesehen war die Leserschaftreichweite
sehr unterschiedlich – in den Städten größer, in östlichen Wojewodschaften niedriger.
Wissenschaftliche Bibliotheken, die über aktuelle Büchersammlungen verfügten und länger
geöffnet waren, zogen mehrere Leser an. Der Kundendienst in deutschen Schulbibliotheken,
besonders in Mittelschulen und Lehrerbildungsanstalten funktionierte sehr gut. Die
während verschiedener Leserveranstaltungen und bei Buchausstellungen gemachte Werbung
für Buch - u. Zeitungslektüre trug wesentlich zur Verbreitung der Leselust unter den
deutschen Lesern bei. Zur Lektüre wurden die Deutschen in den Spalten der sozialpolitischen
und sozialkulturellen Zeitschriften als auch der Tageszeitungen angespornt.
Die Bibliotheken der deutschen Minderheit in Polen konnten nur dank aufopfernder
Arbeit einer ganzen Menge der schlecht oder gar nicht bezahlten Aktivisten funktionieren.
Nur wenige Bibliotheken (Posen, Kattowitz, Lodz) waren von ausgebildeten Vollzeitbibliothekaren
geleitet. Die meisten in den Bibliotheken angestellten Personen förderten ihre
Befähigung durch Berufserfahrung, während der in Deutschland und in Polen organisierten
Fachkursen für Bibliothekare und dank der Lektüre von solchen Bibliothekszeitschriften,
wie: „Schaffen und Schauen“ und „Deutsche Blätter in Polen“.
Deutsche Bibliotheken in II. Republik Polen waren den Bibliothekverbänden unterstellt,
an deren Spitze Verbandsbibliothekare standen. Die Bibliothekverbände bildeten dann politische
und kulturelle Struktur der deutschen Konsolidationsorganisationen. Die Tätigkeit
der Verbände wurde von obersten politischen Organisationen überwacht und hing von
der damals geltenden kulturellen und bibliothekarischen Politik ab. Die Tätigkeit der deutschen
Bibliotheken wurde stets von einigen staatlichen und privaten Institutionen finanziell
unterstützt; es waren u.a.: Deutsche Stiftung, Auswärtiges Amt, Verein für das Deutschtum
im Ausland, Reichsverband der katholischen Auslandsdeutschen, Gustav -Adolf -Stiftung.
Bibliothekarische Hilfe für die Bibliotheken wurde von der 1926 entstandenen Zentrale
fr deutsches Auslandsbüchereiwesen koordiniert. Durch deren Vermittlung wurden nach
Polen deutsche Bücher und Zeitungen geliefert. Geld für Bücher, Ausrüstung und Gehalt für
Bibliothekare wurde nach Polen von dem deutschen Außenministerium mittels der deutschen
Geldinstitutionen übergegeben. Eine kleine Hilfe wurde den deutschen Bibliotheken
auch von halboffiziellen und privaten österreichischen Institutionen geleistet.
Die Bibliotheken der deutschen Minderheit dienten ihren Landsleuten, indem sie bestehende
konfessionelle, politische und soziale Gegensätze überwinden halfen. Die Machtübernahme
in Deutschland von Adolf Hitler im Jahre 1933 war eine wichtige Zäsur auch in
der Geschichte der Bibliotheken. Seitdem waren sie zwar gezwungen, nationalsozialistische
Ordnung in Deutschland mittels Buch und Zeitung zu verbreiten. Die Bücher der jüdischen
Autoren wurden aus den Bibliotheken weggeworfen, Juden wurden in die Büchereien nicht
hereingelassen. Deutsche Bibliotheken in Polen waren von polnischen Lesern, sogar zu
dieser düsterer Zeit, gern besucht.
Den in Polen funktionierenden deutschen Bibliotheken ist es aber nicht gelungen, eine
Brücke zwischen der deutschen Minderheit und der polnischen Mehrheit zu bilden. Starke
Antagonismen zwischen Einheimischen und Fremden konnten nicht nivelliert werden. Die
durch neue „Kriegswunden“ noch verstärkten historischen Vorurteile waren eine der wichtigsten
Ursachen des Verständigungsmangels. Polnische Behörde und polnische Gesellschaft
waren auch misstrauisch, als viele deutsche Bibliotheken polenfeindliche: revisionistische,
irredentistische und nazistische Literatur verbreiteten. Im Unterschied zu deutscher Presse wurden deutsche Bibliotheken vom Staatsapparat der II. Republik Polen nicht stets und
systematisch überprüft. Solche Überprüfung hatte eher einen präventiven Charakter. Schulbibliotheken
waren außerdem auch visitiert und mit der Liste der für den Schulgebrauch
nicht bestimmten Bücher ausgestattet. Deutsche Bibliotheken fielen nur selten zum Opfer
der Zerstörungswut. Ein Wendepunkt in deren Geschichte waren erst die 1938 von Hitler
an Polen gestellten Gebietsansprüche. Seitdem waren Bibliotheken häufiger kontrolliert und
in dem Zeitraum vom April zum August 1939 war ihre Tätigkeit eingestellt.
Die vorliegende Monografie besteht aus 12 Kapiteln und einem Vorwort. In den einzelnen
Kapiteln wurden politische, wirtschaftliche und organisatorische Umstände der Tätigkeit
von den deutschen Bibliotheken geschildert. Besprochen wurden auch die einzelnen
Bibliothektypen, deren Organisation, die Hauptformen der Bücheransammlung und die
Sachregister als auch die Reichweite der Lektüre in den Bibliotheken. Ein anderes Kapitel
wurde dem Status eines Bibliothekars in der II. Republik Polen und dessen Verbesserung
gewidmet. Der Verfasser besprach, auf welche Weise die Bibliotheken der deutschen Minderheit
durch den deutschen Staat unterstützt wurden. Er hob die Bedeutung der deutschen
Bibliotheken für polnisch -deutsche Beziehungen hervor. Zum Vergleichszweck wurden im
letzten Kapitel die von anderen Nationalminderheiten in der II. Republik Polen geführten
Bibliotheken besprochen. |