Abstrakt: | Für viele Künstler der Moderne gehörten die Fragen nach dem
Wesen der Kunst, den Aufgaben des Künstlers und den Prinzipien des schöpferischen
Prozesses zu den ganz wesentlichen. Den in Prag geborenen deutschsprachigen Dichter
Rainer Maria Rilke (1875–1926) beschäftigten sie sein ganzes Leben lang. Der Beitrag
versucht der Frage nachzugehen, wie und ob sich das Bild des Künstlers und der Kunst
bei Rilke im Laufe der Zeit verändert hat. Befragt werden dabei sowohl seine literarischen
Werke (Lyrik, Prosa, Essays) als auch die Tagebücher und die private Korrespondenz.
Einen Durchbruch markiert der Gedichtband Neue Gedichte aus dem Jahre 1907,
mit dem Rilke die sog. Dingdichtung zu schaffen beginnt. Der Künstler hört auf, ein
Prophet zu sein, der Gott fast ebenbürtig ist. Seine Aufgabe beruht jetzt darauf, der
Kunst zu dienen, auch wenn der Preis dafür Leiden und Einsamkeit, Krankheit und
Wahnsinn sein sollten. Das von so einem Künstler geschaffene Werk ist autonom und
souverän und erlaubt es, dem Wesen der Dinge näher zu treten. In der Konstruktion
des Romans Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge lässt sich wiederrum eine
Analogie zu dem schöpferischen Prozess feststellen. Zum Schluss wird gefragt, inwiefern
Rilkes Kunst- und Künstlerverständnis sich in den Prozess der Mythologisierung
des Künstlers um die Jahrhundertwende einschreibt. |