Abstrakt: | Der Gegenstand der vorliegenden Abhandlung sind die Theorien der
Erkenntnis a priori bei Immanuel Kant und Edmund Husserl. Die Abhandlung besteht
aus drei Teilen: der erste stellt die Kan tische Theorie der apriorischen Erkenntnis dar,
der zweite klärt Husserls Meinungen zum Thema apriorische Erkenntnis und der dritte
vergleicht die beiden Theorien.
Der erste Teil der Arbeit (Reine und nicht-reine Erkenntnis a priori nach Immanuel
Kant) zeigt die Kantische Struktur der Erkenntnis a priori hinsichtlich ihrer Reinheit
oder Nicht-Reinheit. Der Ausgangspunkt für diese Erwägungen bildet die Kantische
Unterscheidung zwischen den zwei Bedeutungen des Wortes „rein“. Im ersten engeren
Sinne bedeutet dieses Wort nicht nur das, was unabhängig von aller Erfahrung ist. Es
bedeutet auch das, was überhaupt gar nichts Empirisches beigemischt ist. Im anderen
weiteren Sinne bedeutet „rein“ nur „von aller Erfahrung unabhängig“. Diese Unterscheidung
lässt zu, dass es solche Erkenntnisse a priori gibt, die im weiteren Sinne
rein sind, d.h. unabhängig von aller Erfahrung sind, aber sie sind nicht rein im engeren
Sinne dieses Wortes, d.h. sie enthalten welche empirische Beimischung. In der vorliegenden
Abhandlung hat man die Hypothese angenommen, dass solche Erkenntnisse
keine reinen apriorischen Erkenntnisse sind und folglich soll das Gegenteil der reinen
und nicht-reinen apriorischen Erkenntnis auf den engeren Sinn des Wortes „rein“
gerichtet werden. Dieses Gegenteil kreuzt sich nach Kant mit weiteren Teilung der
apriorischen Erkenntnis, und zwar in analytische und synthetische.
Im zweiten Teil der Arbeit (Formale und materiale Erkenntnis a priori nach Edmund
Husserl) wird die apriorische Erkenntnis nach Husserl in die formale und materiale
Erkenntnis eingeteilt. Solche Teilung wird im Zusammenhang mit analoger Teilung des
eidetischen Gesetzes (Wesensgesetzes) geklärt. In der Phänomenologie ist nähmlich die
Erkenntnis a priori als eidetische Erkenntnis betrachtet, denn Erkenntnis a priori ist für
Husserl nur möglich als Wesenserkenntnis und des näheren als Erkenntnis der in den
Wesen gegründeten Wesensgesetze. Husserl unterscheidet noch zwischen den formalen
und materialen Wesen und zwischen den formalen und materialen Gesetze, so dass die
Erkenntnis a priori entweder formal oder material sein kann. In den Analysen wurde
nachgewiesen, dass die formale Erkenntnis a priori eine analytische Erkenntnis ist,deren Objekt die Gesetze der logischen Aussagen sind; dagegen ist die materiale Erkenntnis
a priori eine synthetische Erkenntnis, die gegenseitige Beziehungen zwischen
den sachhaltig bestimmten Wesen betrifft.
Im dritten Teil der vorliegenden Arbeit {Die vergleichende Analyse der apriorischen
Erkenntnistheorie von Kant und Husserl) werden die zwei Auffassungen der Erkenntnistheorie
einer vergleichenden Analyse unterzogen. Das Ziel der Analyse ist, die Ähnlichkeiten
zwischen ihnen auf dem Gebiet bisher nicht wahrgenommenen aufzuzeigen. Die
klassischen Auslegungen, die die Beziehungen zwischen Kant und Husserl erläutern,
nehmen an, dass der Autor von Kritik der reinen Vernunft den Dualismus formales
Apriori — materiales Aposteriori voraussetzt, indem er materiales Apriori als contradictio
in adiecto betrachtet. Deswegen behaupten alle Kommentatoren einstimmig, dass
materiales Apriori von der Phänomenologie entdeckt worden ist. Solche Auslegung hat
aber einen Nachteil — sie übersieht nämlich, dass gerade der Denker aus Königsberg
die Idee des nicht-reinen synthetischen Apriori geschöpft hat und das nicht-reine
synthetische Apriori von Kant dem materialen Apriori von Husserl entspricht. Denn
sowohl im Kantischen Begriff der „nicht-reinen synthetischen Erkenntnis a priori" als
auch im Husserls Begriff der „materialen Erkenntnis a priort' wird eine Abhängigkeit
der nicht-empirischen Erkenntnis von den Sinneseindrücken gedacht. Folglich muss die
Abhängigkeit von den Sinneseindrücken so nach Kant wie nach Husserl kein Anzeichen
der Empirizität der Erkenntnis sein. Deshalb zeigen die in der vorliegenden Arbeit
enthaltenen Erwägungen die Stellungen von Kant und Husserl zum Problem der
apriorischen Erkenntnis in einem neuen Licht. |