Abstract: | In vorliegender Abhandlung wird Husserls Phänomenologie im Lichte von
drei Thesen dargestellt. Die erste von ihnen heißt: der Mensch ist ein transzendentales
Ich, doch in der natürlicher Einstellung bleibt der transzendentale Charakter
der Subjektivität anonym, d.h. er bleibt unreflektiert, versteckt, und die
Dauer des transzendentalen Lebens in Anonymität hat zur Krise geführt. Zweite
These lautet, dass sich diese Anonymität durch phänomenologische Reduktion
überwinden lässt, so dass die Reduktion selbst eine Befreiung des Prozesses
der transzendentalen Weltkonstitution von der Anonymität ist. Dritte These setzt
voraus, dass das dank der phänomenologischen Reduktion enthüllte transzendentale
Bewusstsein nicht definitiv ist, sondern es wird in absoluter Subjektivität
konstituiert, und absolute Subjektivität ist auch für die Reflexion
unsichtbar und bleibt anonym, wobei die Anonymität von der absoluten Subjektivität
kann nie überwunden werden.
Den Hauptplatz nimmt in der Abhandlung das Problem der Anonymität in
transzendentaler Phänomenologie. Der Verfasser hat sich zum Ziel gesetzt, den
Begriff „Anonymität“ zu klären und nachzuweisen, dass die Problematik der
Anonymität für das Verständnis der Phänomenologie als einer transzendentalen
Philosophie von entscheidender Bedeutung ist. In der Phänomenologie bedeutet
die Anonymität ein unreflektierter Stand des transzendentalen Lebens des Bewusstseins,
ein Stand, in dem das Bewusstsein über sich selbst nicht weiß,
denn unreflektiertes Bewusstsein trägt keine Erkenntnismerkmale, und die
einzige Quelle des Wissens über die Subjektivität ist die Reflexion. In der
Abhandlung wird die Anonymität nach Gerd Brand und Klaus Held auf zweierlei
Weise betrachtet: als Verdecken der transzendental-konstituierenden Leistungen
von der Subjektivität in der natürlicher Einstellung und als eine Unmöglichkeit,
die absolute Subjektivität reflektierend zu objektivieren, in der transzendentaler
Einstellung.
In dem erstgenannten Sinne bezeichnet die Anonymität die Weise, in der die
die Welt konstituierende Subjektivität in der natürlicher Einstellung funktioniert,
d.h. im Modus der Selbstvergessenheit. In der natürlicher Einstellung wird die
die Welt konstituierende Subjektivität durch das, was sie selbst konstituiert, also
durch die Welt und das menschliche Ich in der Welt, verdeckt. In dem Sinne erscheint
die Anonymität als eine Erkenntnisgrenze in der natürlicher Einstellung,
denn die die Welt konstituierende Subjektivität darf in dieser Einstellung nie erkannt
werden. Diese natürliche Grenze kann jedoch mit Hilfe der phänomenologischen
Reduktion überschritten werden; diese Reduktion beruht darauf, dass
der in der natürlicher Einstellung verdeckte transzendentale Charakter der Subjektivität enthüllt wird. Im anderen Sinne ist die Anonymität die Grenze der
transzendentalen Erkenntnis, die Grenze der transzendentalen Reflexion, eine
unüberschreitbare Grenze aller Erkenntnis. Das von der Anonymität mittels
transzendentaler Reflexion befreite Bewusstsein bildet eine konstituierte Einheit
des Erlebnisstroms und es ist kein transzendentales Absolute, sondern ein konstitutives
Resultat der absoluten Subjektivität, die als die zeitkonstituierende
Subjektivität schon immer der Reflexion voraus ist und anonym bleibt. Das die
Zeit konstituierende Bewusstsein ist zwar kein zeitliches Objekt und es kann in
der Reflexion nicht bewusst gemacht werden, denn alles, was die Reflexion
erfasst, nimmt eine zeitliche Form an. Das absolute Bewusstsein entzieht sich
jeder objektivierenden Reflexion, aber es ist zugleich ungegenständlich (unthematisch)
sich seiner selbst bewusst und als solches bedeutet es zwar eine
Erkenntnisgrenze, jedoch es ist gleichzeitig eine anonyme Voraussetzung der
Erkenntnis. Es geht dabei um eine Voraussetzung im Sinne der unthematisch
erlebten apodiktischen Evidenz des ego cogito, der Evidenz in deren Bereich
jede Erkenntnis erfolgt.
In seiner Abhandlung hat der Verfasser bewiesen, dass die Anonymität auf
die Beschränkungen hindeutet, denen sowohl natürliche wie auch transzendentale
Erkenntnis unterliegt. Die Betrachtung der Phänomenologie vom Standpunkt
der Anonymität aus führt zu folgenden Schlüssen: 1. Die natürliche
Einstellung wird als ein anonymer Modus des transzendentalen Lebens betrachtet.
2. Die Identität des empirischen und transzendentalen Bewusstseins wird
als eine Inhaltsidentität verständlich. 3. Die Krise wird als völlige Selbstvergessenheit
der transzendentalen Subjektivität betrachtet. 4. Die phänomenologische
Reduktion bedeutet die Enthüllung der Thesis der natürlichen
Einstellung als eines das Sein der Welt konstituierenden Erlebnisses. 5. Das reflektiert
objektivierte Bewusstsein ist keine absolute Subjektivität, denn die absolute
Subjektivität ist ein anonym fungierendes Bewusstsein und erscheint als
ein transzendentales und zugleich irrationales Faktum. 6. Die Anonymität von
der absoluten Subjektivität steht nicht im Widerspruch zum phänomenologischen
Prinzip aller Prinzipien, denn die apodiktische Evidenz des „Ich bin“
hat sich als eine anonyme Evidenz erwiesen, und die unüberschreitbare Grenze
der Erkenntnis ist zugleich die Bedingung jeder Erkenntnis. |